Vor nahezu  50 Jahren war die Beringung an jenem Felsenhorst im Nordschwarzwald, den ich damals mit Freunden betreute,  eine große Aktion! Der von der Vogelwarte Radolfzell beauftragte Beringer Bertold F. kam aus Offenburg angereist, wir vor Ort sorgten für die Organisation und Durchführung der Abseilaktion und alles war sehr aufregend! Ich blieb – ebenfalls angeseilt – zur Seilsicherung oben an der Felskante zwischen Himmel und Erde hinaus gelehnt stehen, belohnt mit einer spektakulären Aussicht. Meine Aufgabe war weniger die Sicherung des Beringers, sondern die akustische und optische Verbindung mittels Zuruf nach oben zu den seilsichernden Helfern im Wald und hinunter in die Felswand zu dem Beringer.
So etwa: Von unten: „Noch etwas Seil ablassen! Stop! Wieder 20 cm hoch!“ Von oben: “ Sind es wirklich zwei Küken?“ – „Bist immer noch nicht fertig? Können wir Dich nach unten ablassen?“
Wenn ich – mit dem zeitlichen Abstand von fünf Jahrzehnten – nun ehrlich sein kann, hatte ich damals größere Aufmerksamkeit auf den Himmel vor mir als für die Seilschaft unten und oben! Denn die Luft war erfüllt vom Protestgeschrei der Altfalken! Mit offenem Mund und offenen Augen beobachtete ich den Flug der Falken über mir. Denn selten hat man die Chance die spektakulären Flugeigenschaften des Wanderfalken wie auf einer Bühne zu beobachten! Mal sauste das Weibchen, mal der Terzel aus beträchtlicher Höhe aggressiv auf uns zu! Abwechselnd auf mich, der gut sichtbar von der Felskante in die Luft hinaus ragte, oder noch atemberaubender, 20 m unter mir auf den Beringer, der auf der Horstkante saß. Da sah ich dann, wie der Falke – drohend die Fänge voraus gestreckt- kreischend in 50 cm  Entfernung vorbei schoss und wieder in die Höhe schoss! Der Luftzug war deutlich zu spüren! Und schon kam das andere Elternteil aus der Gegenrichtung. (Erst in den letzten Jahren sehe ich, dass anderswo die Beringer und Helfer – aus gutem Grund – Schutzhelme tragen und mit einem Besen die angreifenden Falken auf Distanz halten.) Nach sechs-sieben solcher Angriffe gaben die Falken auf und hielten vom gegenüber liegenden Berghang aus stumme Wache. Das Gezeter begann wieder, wenn wir den Bertold F. nach unten abseilten und dann das Seil hoch zogen. Kaum waren wir wieder davon, war das Weibchen zurück am Horst und die Falkenfamilie beruhigte sich schnell.
Die Aktion fand in  frühen Morgenstunden statt, weil wir keine Zuschauer haben wollten. Die Naturschutzbehörde, Jagdpächter, Forstverwaltung und Gemeindeverwaltung hatten wir vorab informiert.  Bertold F.war ein  erfahrener Kletterer, die beiden sichernden Naturschutzwarte waren ausgebildete Feuerwehrmänner und hatten ebenfalls Sicherungserfahrungen. Über drei Jahrzehnte, in denen ich dort mitarbeitete, gab es nie ein Malheur, weder bei Familie Falke noch bei den Menschen.
Lebhaft in Erinnerung bleiben die folgenden Stunden zurück im Dorf: Mittagessen „Gaisburger Marsch“, Kaffee und Kuchen, Heidelbeermost, Birnenschnaps, – unvergesslich! Danke, Erika H. und Familie! Und das angenehme Gefühl, etwas Wichtiges gemeinsam geschafft zu haben. Als wir damit begannen, gab es im Nordschwarzwald nur noch zwei von Wanderfalken noch besetzte und dank Bewachung erfolgreiche Nistplätze! An Nistkästen in Städten dachten wir noch nicht…
Foto: HMG, ca. 1969

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