Um die Mittagszeit erhalte ich den erwarteten Anruf: „Hier sitzt ein Falke auf dem Boden, vielleicht verletzt. Die Krähen haben ihn unter großem Geschrei hier hinunter gejagt.“ Also mit meinem Daktari-Safari-Kit (Karton, Handschuhe, Sprühflasche mit Wasser, Abdecktuch, Kescher mit langer Stange, Feldstecher) zur Jesuitenkirche. Nur mit Mühe finde ich in der übervollen Altstadt eine Parkmöglichkeit.
Der Kirchendiener kennt mich noch aus den Vorjahren, als bereits eine Vorgängerin ANNETTE auf gleiche Weise als Bruchpilotin erschöpft auf dem Boden saß, damals in aller Öffentlichkeit auf dem Merianplatz vor der Kirche. Heute sitzt der Jungfalke im Innenhof, auch dort haben sich etwa acht aufgeregte Personen versammelt und halten Abstand und Ruhe ein. Gerne helfen sie mir den Falken zu bergen. Er ist zwar deutlich erschöpft und kann beim ersten Versuch noch dem Netz des Keschers entkommen. Das ist mir recht: So sehe ich, dass er sowohl flattern, wie auch laufen kann. Als wir seine Klauen aus dem Netz befreien, wehrt er sich so gut er kann und hackt mit dem Schnabel nach unseren Fingern. Ich halte mit beiden Händen seine Flügel an seinem Körper und greife dann seine Fänge. Sein schwarzen Ziffern PUM am rechten Fang verraten seinen Namen: Es ist das Weibchen MARIA-SIBYLLA, das heute früh abgeflogen ist. Alle Anwesenden sind glücklich, haben ihre Mobiltelefone gezückt, schließlich macht der Kirchendiener noch ein Gruppenbild „Pfarrgemeinderat mit Falke“!
Und man freut sich, dass sie ausgerechnet am Merianplatz ankam, der ja ihren Namen trägt. Ich mache natürlich gerne den Biologielehrer und Vogelkenner, man entrüstet sich über die frechen Rabenkrähen, die jedes Jahr die startenden jungen Wanderfalken bedrängen.